Freitag, 20. Juli 2012

Han Han: Die Freisetzung von Shifang // 韩寒:什邡的释放


Vor vier Jahren, zur Zeit des Erdbebens von Sichuan, fuhr ich in die Katastrophengegend. Ich kann mich düster erinnern, dass die Regierung ein paar Tage nach dem Erdbeben beschloss, alle herrenlosen Hunde einzufangen und einzuschläfern, um Epidemien vorzubeugen. Ich liebe Hunde, und obwohl mich das traurig machte, machte diese Massnahme unter diesen Umständen doch Sinn. Als ich Sichuan dann verliess, nahm ich einen von diesen Hunden mit nach Shanghai. Ich erwähne das heute, weil dieser Hund aus der Stadt Shifang (Gemeinde Hongbai) stammt. 

Heute Abend sprach man wieder von Shifang. Vor vier Jahren war ich auf irgendeiner Strasse in Shifang, auf beiden Seiten zerstörte Fabriken, in den flachen Plätzen biwakierte die Armee, unwirkliche Bilder.

Ich dachte an mein Heimatdorf, Shanghai's Zentrum der Chemieindustrie, ein Dorf in der Gemeinde Tinglin im Stadtbezirk Jinshan. Ich sehe wie sich mein Dorf gewandelt hat, von grünen Kanälen und Rauchfähnchen, die aus den Küchen der Häuser in den klaren Himmel steigt, in das was es jetzt ist. Es brauchte nur zehn Jahre, das Flusswasser ist wie Farbe und die Luft ist Gift. Damals, als es darum ging, diese Chemieprojekte mit viel Umweltverschmutzung durchzudrücken, fantasierte die Regierung, dass die Einwohner Steigerung des BIP des Dorfes verlangten, und dass die Regierung nur dann Glück für alle schaffen könne, wenn die Steuereinnahmen sprudeln. Zehn Jahre danach hat sich der Druck im Leben der Dorfbewohner kein wenig gemindert, ihre soziale Sicherheit hat sich kein bisschen verbessert. Dafür atmen wir keine saubere Luft mehr, und der Fluss ist ein Trauerspiel, kommt in sieben verschiedenen Farben in der Woche, du kannst ablesen, welcher Wochentag gerade ist. Die Leute aus Tinglin haben sich dafür entschieden, das zu ertragen, schliesslich zeigen die Prüfberichte vom Umweltamt, das alle Werte innerhalb des normalen Rahmens liegen. Klar, wenn man keine Mindestanforderungen hat, dann liegen die Werte immer darüber. Aber in diesem Wasser können nicht mal Flusskrebse überleben, das sagt schon alles.

Die einfachen Chinesen haben mit Flusskrebsen wirklich viel gemeinsam: Sie können unglaublich viel über sich ergehen lassen, können in jeder Umgebung überleben. Aber obwohl sie zwei Scheren haben, werden sie oft durch den Rücken aufgespiesst und sind dann wehrlos. Wenn man sie erschreckt, weichen sie zurück, und trotzdem enden sie am Ende auf dem Speisetisch der hohen Tiere. Die wischen sich den Mund ab: "Nicht schlecht, vielleicht ein wenig scharf."

Deshalb möchte ich der Regierung von Shifang sagen: Dies sind keine Krisenzeiten, die Erwartungen der Menschen an ihre Umwelt verdienen Respekt. Ihr Bosse wechselt alle paar Jahre eure Posten, und tauscht dann die Verschmutzung, die ihr hinterlasst gegen ein gutes Zeugnisse ein. Wenn ihr's gut gemacht habt, werdet ihr auf einen besseren Posten befördert, im schlimmsten Fall kommt ihr vors Exekutionskommando. Sowieso seid ihr nicht mehr da, die einfachen Leute aber schon. Die Regierung von Shifang hat dieses Projekt eines Molybden- und Kupfer Werks beerdigt, welches die Wut der Leute hat hochkochen lassen, aber ich denke aufgestaut hat sich diese Wut davor schon. Was eine Frage nach Vor- und Nachteilen einer Fabrik war, hat sich nun in einen Massenprotest entwickelt, ein ursprünglich idealer, friedlicher und kluger Protest um erneute Verhandlungen, hastig zerschlagen. Man sollte ihnen nicht die Deutungshoheit überlassen mit ihrem Gerede von "Pöbel und Unruhestiftern".

Ich möchte der Regierung auch sagen: Die Entscheidung, die Demonstration aufzulösen habt ihr zu hastig gefällt, und die Art war übertrieben. Ich kann euch verstehen, als eine Regionalregierung, ohne Erfahrung mit dem Management solcher "Massenvorkommnisse", wenn ihr nur seht, dass das Regierungsgebäude umstellt wurde, die Tafel mit dem Namen der Stadt vor dem Gebäude schon kaputtgeschlagen wurde, das ist unschön. Ihr seht unten die Menschenmassen, kuckt oben an den Wandkalender, seht: Es ist der Tag an dem die Organisation gegründet 4wurde (1. Juli, Gründungstag der KP China). Schlechtes Timing, ungünstige Situation, ein Gedanke: Ich werde Amt und Karriere verlieren! Also: Schnell die Leute auseinandertreiben. Wenn's nicht mehr reicht, die Parteigründung zu feiern, egal, die machen es eh kaputt, was für eine Demütigung für die Partei!" Man kann sich vorstellen, aus der Entscheidungsebene klang es so: "Dieses Problem muss nicht zwingend in kürzest möglicher Zeit gelöst werden." Auf der ausführenden Stufe dachte man: "kürzeste Zeit… Auflösen… Verstanden…“ Und so gab es dann gar keinen Dialog. Kann es sein, dass ihr die Sorgen der Leute um die Luft, die sie atmen und das Wasser, das sie trinken so behandeln wollt wie Epidemien? Muss man beide noch am selben Tag eindämmen? Ohne Dialog, direkt mit Tränengas? Die Regierung von Shifang hat das Erdbeben von Sichuan miterlebt, wie kann sie nicht wissen, dass je mehr Gefühle sich bei den Leuten angestaut haben, sie umso mehr Dampf ablassen müssen? Wenn sie ihrem Ärger dann Luft machen, ob sie nun angestachelt oder aufgehetzt wurden, dann wollt ihr diese ehrliche Wut nicht verrauchen lassen sondern müsst gleich Chiliwasser (Benutzt die chinesische Polizei offenbar gerne bei diesen Gelegenheiten, ähnliche Wirkung wie Pfefferspray) versprühen? Das gibt dann eine richtige Schlacht, Bürger gegen Polizei, die Bürger mit tränenüberströmten Gesichtern?

Ehrlich gesagt bin ich kein Experte, zu Molybdän-Kupfer Werken kann ich nichts sagen, ich finde nur, man kann so nicht mit Massenaufmärschen umgehen. Die Beamten sagen, das Haupttor des Regierungsgebäudes wurde aufgestossen, in den Nachrichten hat man aber vor allem gesehen, wie der Staatsapparat Leute verprügelt. Wenn es nur darum geht, die Ordnung aufrechtzuerhalten, einen Massenaufmarsch aufzulösen, müsst ihr dann wirklich noch prügeln und Chiliwasser sprühen? Eine solche naive Anwendung von Waffengewalt kann das ganze nur schlimmer machen. Shifang geht mich etwas an, weil es für Tinglin steht. Leute von Shifang, ihr habt einem Erdbeben der Stärke 8 getrotzt, ihr könnt gegen die Schläge ankommen. Ein Regierungsgebäude, das ein Erdbeben der Stärke 8 überstanden hat, wird auch mit kritischen Fragen zurechtkommen.

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Hier das Original: aber mittlerweile ist der Post gelöscht.

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